Immer auf Achse – Leipzigs Pendler

 

Sie düsen über die Autobahn oder sitzen im ICE – immer mehr Menschen wohnen nicht da, wo sie arbeiten. Die Zahl der Pendler nimmt in Sachsen zu, auch in Leipzig. Psychologen warnen davor, dass Pendeln krank macht, Ökonomen sehen dagegen die positiven Effekte auf die Wirtschaft. Zwei Berufspendler und ein Lkw-Fahrer berichten von ihren Erfahrungen im Zug und auf der Straße, ihrem persönlichen Stresslevel und was es für sie bedeutet, ständig unterwegs zu sein.

Wer pendelt nach Sachsen hinein und aus dem Freistaat hinaus? Die Animation gibt Antworten.

„Halb sechs klingelt der Wecker“

Doreen Schneider pendelt mit dem Zug von Leipzig nach Berlin.

Entfernung: 194 Kilometer
Fahrzeit für eine Strecke: etwa zwei Stunden

Nächster Halt Berlin Südkreuz. Der ICE Richtung Leipzig ist voll an diesem Dienstagabend, fast jeder Platz von Reisenden besetzt. Doreen Schneider sitzt an einem Vierertisch, den Laptop im Rucksack griffbereit. Die Frau ihr gegenüber stopft sich Sushi aus einer Plastikbox in den Mund, der Mann auf dem Nebensitz telefoniert. Gedämpfte Unterhaltungen. Pendleralltag. Seit Januar verbringt Doreen Schneider zusätzlich zu ihrem Arbeitstag vier Stunden in der Bahn, jedenfalls dienstags, mittwochs und donnerstags. An diesen drei Tagen pendelt sie von Leipzig-Lindenau nach Berlin-Friedrichshain. Der Grund: Ihr Freund lebt in Leipzig, im Januar sind die beiden zusammen gezogen, vorher wohnte sie in Berlin, war Wochenendpendlerin.

Doreen Schneider ist 36 Jahre alt, eine kleine, schlanke Frau mit auffälliger dunkler Brille und leiser Stimme. Heute fühlt sie sich „leicht kaputt“, sagt sie. „Ich merke, dass ich zeitig aufgestanden bin.“ Halb sechs klingelt an Pendlertagen ihr Wecker, etwa eine Dreiviertelstunde später steigt sie in die Straßenbahn zum Bahnhof. 7.15 Uhr fährt der ICE am Leipziger Hauptbahnhof ab, am Hauptbahnhof in Berlin steigt Schneider eine Stunde später in die S-Bahn nach Friedrichshain, wo das Büro ihrer Firma ist.

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Wer gilt als Pendler?

 Pendler sind per Gesetz alle sozialversicherungspflichtig beschäftigten Menschen, die nicht an ihrem Arbeitsort wohnen.

Seit drei Jahren arbeitet Schneider in dem Unternehmen. Sie fing als Mediaberaterin an, ist inzwischen aufgestiegen und sie fühlt sich dort sehr wohl. Es gibt einen Kicker, Tischtennis, frisches Obst – und eine gute Arbeitsatmosphäre. Dafür nimmt sie die Pendelei gern auf sich.

Mit dem Auto zu fahren, das kommt für sie nicht in Frage. „Da würde ich viel länger brauchen, ich müsste ja quer durch Berlin.“ Hinzu kommt: Während die Zeit im Auto vertan wäre, versucht Schneider, die Fahrzeit im Zug sinnvoll zu nutzen, besonders auf der Rückfahrt. Da checkt sie E-Mails oder erstellt Präsentationen – je nachdem, ob das W-LAN funktioniert. Heute ist es ausgefallen. Auf einen Plausch mit Mitreisenden, von denen sie einige immer wieder sieht, hat sie keine Lust. „Die Rückfahrt ist für mich auch die Zeit, um vom Arbeitstag abzuschalten.“ Der Schaffner kommt durch, Schneider zeigt ihre Bahncard 100, auf der ein Foto von ihr zu sehen ist. Ihre Erfahrungen mit der Deutschen Bahn sind eher positiv. Die Züge seien meistens pünktlich, höchstens 15 Minuten verspätet. Doreen Schneider kann das ganz gut einschätzen, denn sie fährt viel Bahn. Wenn sie nicht nach Berlin pendelt, ist sie in ganz Deutschland unterwegs, um ihre Kunden zu besuchen, häufig im Ruhrpott.

Und sie hat schon so einiges erlebt auf der Strecke. In Bielefeld erklärte der Zugführer „Jetzt halten wir gleich in der Stadt, die es gar nicht gibt.“ Nach dem Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo erlebte sie Schweigeminuten im Abteil. „Komplette Stille, das war schon sehr bewegend.“ Einmal saß sie im ICE von Berlin nach Hamburg, als der Zugführer das hintere Abteil während der Fahrt vom Vorderteil abkoppelte – wegen eines Defekts in den hinteren Wagen. „Wir wurden langsamer und blieben irgendwann stehen. Das war echt gruselig.“ Nach eineinhalb Stunden wurden die Fahrgäste über eine kleine Treppe evakuiert und konnten in einen nachfolgenden Zug umsteigen.

Nächster Halt: Wittenberg. Piep, Piep, die Türen schließen. Doreen Schneider bewegt ihre Beine. „Ich sitze extrem viel“, sagt sie, „entweder in der Bahn oder im Büro am Computer.“ Ihre Ballettlehrerin bescheinigte ihr „eine schlechte Haltung“.

Schneider klagt über Verspannungen und Rückenschmerzen. Als Ausgleich trainiert sie im Fitnessstudio, geht schwimmen und hat kürzlich mit Ballett angefangen. Sport macht sie eher montags und freitags, an den Home-Office-Tagen. Als klar war, dass sie künftig in Leipzig wohnen will, besprach Doreen Schneider ihre Pläne mit ihrem Vorgesetzen. Gemeinsam fanden sie eine Lösung. „Es war kein Kampf“, sagt Schneider, auch wenn ihr Situation eine Ausnahme im Unternehmen darstellt. Ihr Chef war einverstanden, dass sie an zwei Tagen pro Woche von zu Hause aus arbeitet. „Mein Arbeitgeber weiß, was er an mir hat“, ist sie sich sicher.

Doreen Schneider beschreibt im Video, was Pendeln für sie bedeutet.

So fahren Pendler in Sachsen zum Arbeitsort

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Bahn

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Auto

In ihrem privaten Arbeitszimmer könne sie sich sogar besser konzentrieren als im Büro, weil sie weniger abgelenkt sei. Theoretisch könnte sie noch häufiger von zu Hause aus arbeiten. „Bei bestimmten Themen sollte man den Kollegen aber schon in die Augen gucken“, findet Schneider. An wichtigen Meetings nimmt sie lieber persönlich teil, auch wenn Videokonferenzen in der international ausgerichteten Firma normal seien. Viele Kollegen, die in den USA, Frankreich oder Norwegen arbeiten, werden per Skype zugeschaltet.

Noch zehn Minuten bis Leipzig, die Landschaft fliegt als Silhouette vorbei, es ist ruhiger geworden im Waggon.

Vielleicht, sagt Doreen Schneider, habe sie mit der Pendelei weniger Probleme, weil sie aus Berlin größere Entfernungen gewohnt sei. Zehn Jahre lang lebte die gebürtige Sächsin, die bei Eilenburg aufwuchs, in der Hauptstadt. Zuvor arbeitete sie einige Jahre in Hamburg und Stuttgart in einem Beruf, der noch mehr Flexibilität erforderte: als Flugbegleiterin. Zweieinhalb Jahre flog Schneider in die Türkei, nach Italien, Spanien und Georgien. „Da war ich echt nur mit dem Koffer unterwegs“, sagt sie. Selten saß sie abends wieder auf der eigenen Wohnzimmercouch. So aufregend sich viele ein Leben in der Luft vorstellen, am „Ende sind die Abläufe immer die gleichen, die Fragen und das Gemecker auch“, sagt Doreen Schneider und schmunzelt. Sie wollte sich weiterentwickeln, bildete sich weiter und landete schließlich in Berlin. Und nun der Weg zurück in die Heimat.

„Ich freue mich immer, wenn der Zug in Leipzig einrollt“, sagt die Pendlerin. Dass die Zugfahrten irgendwann ein Ende haben könnten, glaubt Schneider nicht. Sie habe bisher nicht aktiv gesucht, denkt aber nicht, dass es für sie einen passenden Job in Leipzig geben könnte. Wenn, dann könnte es eher passieren, dass es ihren Freund, der derzeit studiert, und sie nochmal in eine andere Stadt verschlägt. Aktuell aber ist die Messestadt der gemeinsame Lebensmittelpunkt.

Es ist kurz vor 19 Uhr. Der ICE ist in die Bahnhofshalle eingerollt. Doreen Schneider steigt aus und läuft über den Bahnsteig in Richtung Straßenbahn. Was sie heute noch vorhat? Abendessen, vielleicht mit ihren Eltern telefonieren – oder einfach vor dem Fernseher versacken.

„Ab 45 Minuten pro Strecke sind Sie gefährdet“

Hannes Zacher, 37, ist  Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig. Der Experte warnt vor den gesundheitlichen Folgen, die Pendler treffen können und macht Vorschläge, was Unternehmen für sie tun können.

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Professor Zacher, sind Sie selbst Pendler?

Nein, ich pendele sehr ungern. Ich wohne in Leipzig und fahre jeden Tag nur zehn Minuten mit der Straßenbahn zur Arbeit. Ich habe immer versucht, relativ nah an meinem Arbeitsplatz zu wohnen. Früher habe ich mal für Volkswagen gearbeitet und bin immer von Braunschweig nach Wolfsburg gependelt. Das waren jeden Tag 25 Minuten mit der Regionalbahn und das fand ich sehr stressig, auch weil es häufig zu Zugverspätungen kam.

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Seit wann pendeln Menschen zur Arbeit?

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Welche Folgen hat Pendeln auf die eigene Psyche?

Viele Leute fühlen sich irgendwann entwurzelt, nirgendwo zu Hause. Besonders Flugzeug-Pendlern ergeht es so. Sie können außerdem weniger für die Familie da sein. Wochenendpendler sind noch weniger präsent. Studien zeigen, dass Pendler eine erhöhte Scheidungsrate haben.

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Hat das Pendeln auch eine positive Seite?

Ja, sie hängt mit der beruflichen Selbstverwirklichung zusammen. Pendler sind häufig besser bezahlt, weil sie beispielsweise gesuchte Fachkräfte sind. Das heißt, für einige Leute besteht im Pendeln die Möglichkeit, einen Beruf auszuüben, den es so in ihrer Heimatstadt nicht gibt. Man muss allerdings zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Pendlern unterscheiden.

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Worin liegt der Unterschied?

Die freiwilligen Pendler haben die psychologische Kontrolle über ihre Situation, diese kann negative Effekte abpuffern. Menschen, die sich freiwillig dafür entscheiden, in Magdeburg zu wohnen und nach Leipzig zu pendeln, fühlen sich weniger gestresst, als wenn sie zum Pendeln gezwungen werden. Einem Arbeitssuchenden kann das Jobcenter zumuten, dass er für eine neue Arbeit insgesamt zweieinhalb Stunden pendelt, solange der Arbeitstag sechs Stunden hat. Das kann im Job enorm stressen. Menschen, die über 45 Minuten pro Strecke pendeln, sind besonders gefährdet. Da wird es kritisch für die Gesundheit.

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Macht Pendeln also krank?

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Was ist für die Psyche besser – mit dem Zug oder dem Auto pendeln?

Die Forschung zeigt, dass öffentliche Verkehrsmittel günstiger sind, weil Sie da noch etwas nebenbei machen können – schlafen oder lesen etwa. Etwa ein Drittel nutzt die Zeit, um zu arbeiten oder zu lernen. 40 Prozent der Erwerbstätigen empfinden die Zeit als sinnvoll genutzt. Außerdem bewegen Sie sich zumindest ein bisschen, wenn Sie zum Bahnhof laufen, zum Beispiel. Bahnpendler haben weniger Probleme mit Gefäßerkrankungen als Autopendler. Studien zeigen dafür, dass Bahnreisende gerade während der Grippewelle häufiger krank sind.

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Das Problem haben Autofahrer nicht.

Das stimmt. Dafür müssen Sie sich sehr stark auf den Verkehr konzentrieren, was stressiger ist. Bei Zugfahrten kann es zwar zu Verspätungen kommen, aber generell ist Autofahren gefährlicher als mit der Bahn zu fahren, weil durch die hohe Belastung das Unfallrisiko steigt.

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Wer leidet mehr unter einem Pendler-Leben – Frauen oder Männer?

Aus der Forschung wissen wir, dass Frauen stärker unter dem Pendeln leiden, weil sie oft auch noch einkaufen, den Haushalt meistern und sich um die Kinder kümmern. Das heißt, die gesundheitlichen Belastungen sind für Frauen drastischer als für Männer. Es sind aber häufiger die Männer, die pendeln.

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Was können Unternehmen tun, um den Alltag für Pendler zu erleichtern?

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Sind Firmen bereit, sich auf Maßnahmen wie Home-Office einzulassen?

In der Produktion mit Schichtbetrieb sind flexible Arbeitszeiten schwierig, aber im Bürobereich sind Unternehmen zunehmend offen dafür. Die Mitarbeiter, die pünktlich morgens um sieben im Büro sind, sind zwar immer noch die beliebtesten bei den Chefs, aber es passiert so langsam ein Umdenken. In den Niederlanden, wo ich mal gearbeitet habe, haben Mitarbeiter mittlerweile ein Recht auf Home-Office. Die sind da fortschrittlicher.

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Der Arbeitgeber könnte anführen, dass er dann keine Kontrolle darüber hat, was sein Mitarbeiter den ganzen Tag treibt.

Wer seinem Arbeitnehmer Vertrauen entgegenbringt, signalisiert ihm, dass er ihn behalten will. In Zeiten von Fachkräftemangel ist das nur zu empfehlen. Studien zeigen aber auch, dass nicht alle Leute für das Arbeiten von zu Hause geeignet sind. Man muss dafür sehr gewissenhaft sein, darf sich nicht ablenken lassen. Yahoo hat vor einigen Jahren das Home-Office wieder abgeschafft mit der Begründung, dass die Zusammenarbeit im Team wichtiger sei. Es gab viel Protest und es war auch ein bisschen anachronistisch.

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Pendeln passt in unsere Leistungsgesellschaft, die erwartet, dass der Mitarbeiter möglichst flexibel ist. Werden wir in Zukunft noch mehr unterwegs sein?

Pendeln ist ein Massenphänomen und ich denke, es wird erstmal zunehmen, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, in denen sich Leute aussuchen können, für wen und wo sie arbeiten. Trotzdem glaube ich, dass sich Unternehmen langfristig umstellen werden und Arbeit von zu Hause ermöglichen.

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Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung? Können Pendler darauf hoffen?

Sie ist ein zweischneidiges Schwert. Klar können Sie über Videokonferenzen, Skype und E-Mail vieles online organisieren. Wenn Sie nur noch das haben, fehlt Ihnen allerdings der richtige Kontakt mit Kollegen, Kunden und Vorgesetzten. Und der lässt sich nicht ersetzen.

Fahrradstau, Verspätungen und ein Lächeln

Alexandra Warnecke hat in Leipzig Jura studiert, arbeitet zurzeit als Rechtsreferendarin in Sachsen-Anhalt  und werkelt nebenbei an ihrer Doktorarbeit. Die 27-Jährige wohnt in Leipzig, pendelt aber seit zwei Jahren nahezu täglich mit der S-Bahn von der Messe- in die Saale-Stadt. Was sie an der S-Bahn liebt und was sie hasst, hat sie für uns aufgeschrieben.

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Pünktlichkeit?

 

Die App der Bahn gehört wirklich nicht zu meinen Lieblingen. Trotzdem ist sie die wichtigste App auf meinem Handy. Damit kann ich schon bevor ich morgens zur Haltestelle aufbreche, sehen, ob der Zug verspätet ist. Und mich dann umso mehr freuen, wenn die Bahn pünktlich kommt.

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Fahrradstau

 

Mehrmals habe ich es schon erlebt, dass die Bahn nicht losfahren konnte, weil die Zugbegleiter der Auffassung waren, dass zu viele Fahrräder im Fahrradbereich standen und Fluchtwege versperrten. Das ist immer ein ambivalentes Gefühl. Einerseits möchte ich nicht, dass jemand aussteigen muss, andererseits wünschte ich mir, dass die Bahn endlich losfährt.

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Eine Gemeinschaft

 

Mittlerweile kenne ich viele andere Pendler schon vom Sehen. Oft nicken wir uns zu und wünschen einen guten Morgen. Das finde ich wirklich schön, weil man sich so wie in einer eingeschworenen Gemeinschaft fühlt.

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Platzmangel

 

Ich weiß gar nicht, wie viele Male ich schon stand oder auf dem Boden sitzen musste, weil die S-Bahn mal wieder aus allen Nähten platzte. Das nervt besonders im Winter, wenn der Boden nass ist, alles schwimmt und der Rucksack von unten durchweicht.

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Lieblingsplatz

 

Toll ist, wenn ich trotz des Gedränges noch meinen Lieblingsplatz erwische. Auf den Einzelsitzen direkt an der Tür kann ich noch mal ganz in Ruhe durchatmen. Manchmal ist es wirklich ein schönes Gefühl, 40 Minuten in der S-Bahn zu sitzen. Dann kann ich aus dem Fenster schauen, noch mal die Augen zumachen und über den Tag nachdenken.

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Verspätungen

Besonders extreme Verspätungen nerven mich am Pendeln. Einmal stand ich morgens im Schneesturm am Bahnsteig und musste eine Dreiviertelstunde auf den Zug warten. Dann ging aber gar nichts mehr, die Oberleitungen waren gestört. Die Zugbegleiterin winkte ab und erklärte, dass ich irgendeinen anderen Weg in die Stadt finden müsse.

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Müdigkeit

 

Eigentlich habe ich mir vorgenommen, die Fahrzeiten sinnvoll zu nutzen und etwas zu arbeiten. Aber in der Regel schaffe ich das nicht, weil ich zu müde bin. Mittlerweile finde ich es deshalb schön, Musik zu hören, Serien auf dem Tablet schauen oder einfach nur die anderen Fahrgäste beobachten zu können.

Pendeln ist sinnlose Zeit

Björn Lindner fährt täglich von Schönebeck in Sachsen-Anhalt zur Arbeit ins Leipziger Porsche Werk.

Entfernung: 113 Kilometer
Fahrzeit für eine Strecke: etwa eine Stunde

Rechts schieben sich die Lkw-Kolonnen über die Fahrbahn, links überholen die Pkw-Fahrer, der Verkehr rollt auf der A 14 zwischen Magdeburg und Leipzig. Mittendrin sticht ein knalloranger Pick-Up aus der Blechmasse heraus. Es ist der nagelneue Nissan Navara von Björn Lindner. Von seinem Heimatort Schönebeck in Sachsen-Anhalt aus düst der 31-Jährige Montage-Arbeiter täglich ins Leipziger Porsche-Werk. Eine Stunde dauert die Fahrt zu seiner Arbeitsstätte.

Heute fängt die Spätschicht kurz vor 14 Uhr an. Schon kurz nach zwölf macht sich Lindner auf den Weg zur Arbeit, Er muss Zeit einplanen für die Parkplatzsuche, den Weg zu seiner Werkshalle und fürs Anziehen der Arbeitsklamotten. Die Fahrt empfindet er als „einfach nur nervig“. Seine tätowierten Arme umfassen das Lenkrad, steuern das Auto ruhig Richtung Autobahn. „Pendeln ist sinnlose Zeit.“ Aber was soll er machen? Seine Anstellung bei Porsche sei „ein sehr guter Job“, den er gern mache. Dafür nimmt er die Fahrt seit acht Jahren auf sich.

Sein Vorteil: Er fährt nicht allein. Drei Kollegen aus dem benachbarten Calbe sitzen mit im Auto, maximal zweimal pro Woche muss er selbst ans Steuer. „Jeden Tag allein fahren, das würde ich nicht machen“, sagt Lindner. „Das wäre ganz schön heftig – gerade nach der Nachtschicht.“ Sich morgens um sechs im Auto wach zu halten, dabei helfen dann die Mitfahrer. Der gelernte Automechaniker arbeitet in einem Drei-Schicht-System, das wochenweise wechselt. Als Teamsprecher kümmert sich Lindner um organisatorische Dinge wie die Personalplanung, springt aber auch ein für Kollegen am Band, die die Autos zusammenschrauben, aktuell die Modelle Panamera und Macan.

Björn Lindner erklärt, warum ihn das Pendeln stresst.

Wenn er zur Frühschicht fährt, die um sechs Uhr beginnt, muss er 4.30 Uhr das Haus verlassen. Das macht ihm allerdings nichts aus. „Ich bin Frühaufsteher.“ Es ist eher die Nachtschicht, die morgens um sechs endet, die seinen Biorhythmus stört. Für immer will er sich die Schichtarbeit nicht antun, sagt Lindner. Dabei hat sie auch Vorteile: „Ich hab dadurch Zeit, etwas zu erledigen, Ämter- oder Arztbesuche zum Beispiel.“

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Welche Rolle spielt das Gehalt?

Wer mehr verdient, fährt häufiger mit dem Auto zur Arbeit. Bei einem geringen Einkommen nutzen die Beschäftigten eher Bus und Bahn, um zur Arbeit zu gelangen.

Was ihn am Pendeln am meisten nervt: „die aggressiven Autofahrer.“ In den vergangenen Jahren habe der Verkehr deutlich zugenommen. Lindner hat den Eindruck, dass alle viel gestresster sind. „So wie die Zeit gerade ist, dieses schnelle Leben, jeder hat Stress und Hektik – das spiegelt sich auf der Autobahn wider.“ Der Schönebecker ist ein ruhiger Fahrer. Er weiß, wenn er drängelt, kommt er auch nicht eher an. Und mit seinem neuen Pick-Up ist er lieber langsamer unterwegs, das Auto verbraucht neun Liter Diesel. Dabei halten sich die Benzinkosten mit etwa 200 Euro pro Person pro Monat noch in Grenzen – durch die Fahrgemeinschaft. Eine Monatskarte für die Bahn wäre mit etwa 280 Euro deutlich teurer, die Anbindung ans Porschewerk ist zudem schlecht. Mit Zug und Bus wäre Lindner deutlich länger unterwegs.

Dafür steht er mit seinem Pick-Up immer mal wieder im Stau. Einmal ereignete sich kurz vor ihm ein schwerer Unfall, es ging weder vor noch zurück. Er rief im Werk an, gab Bescheid, dass es später wird – und drehte letztlich wieder um. Bisher, sagt Lindner, sei er aber gut durch den Winter gekommen. Wenn es schneit, plant er noch mehr Zeit für die Fahrt ein. Eine Zeit lang war der Arbeitsweg des Mechanikers kürzer: Nachdem Linder seine Ausbildung bei Porsche in Stuttgart abgeschlossen und drei Jahre in dem Werk dort gearbeitet hatte, zog er 2008 nach Leipzig, wohnte auch in der Stadt. Doch dann zog es den gebürtigen Schönebecker wieder zurück, seine vierjährige Tochter, seine Familie und Freunde leben in der Stadt an der Elbe. „Ich find es hier schön“, sagt der Pendler. „Großstadt mag ich nicht. Zu viele Menschen, zuviel Trubel.“

In Schönebeck kennt er jeden, die Wege innerhalb der Stadt sind kurz. Der Automechaniker ist sich sicher, dass er auch im näheren Umkreis einen Job finden könnte, „aber der wäre sicher nicht so lukrativ“. Dass er durch das Pendeln seiner Gesundheit schadet, befürchtet Lindner nicht. Immerhin steht er während der Arbeitszeit die meiste Zeit, fährt zum Ausgleich Fahrrad, betreibt den Kampfsport Krav Maga. Kurz nach 13 Uhr. Björn Lindner ist jetzt auf dem Parkplatz des Werks angekommen und läuft Richtung Eingangstor Nord.  Gleich wird er Autos zusammenbauen. Feierabend hat er gegen 22 Uhr Uhr. Dann geht es wieder zurück über die Autobahn – nach Schönebeck.

Einpendler nach Sachsen

Auspendler aus Sachsen

Wo die Pendler ihr Schnitzel essen

Pommes-Geruch liegt in der Luft, in den Bratpfannen brutzeln Schnitzel und Currywurst, die Kaffeemaschine knattert im Hintergrund. Mittagszeit in der Raststätte Pfaff am Rande von Frohburg, einer Kleinstadt, 40 Minuten von Leipzig entfernt. Es sind vor allem Handwerker aus der Region, die hier ihre Mittagspause verbringen. In Arbeitsklamotten sitzen sie an Holztischen, füllen ihre Mägen mit Eintöpfen, Milchreis oder paniertem Seelachs. Die fünf Köchinnen bereiten die Hausmannskost frisch zu. 50 Hungrige finden in der Raststätte Platz, im Sommer können sie auch draußen im Biergarten entspannen.

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Jetzt zur Mittagszeit ist der Raum gut gefüllt, fast jeder Tisch besetzt. An einem sitzt David Gebhart mit seinem Kollegen. Die Mitarbeiter der Leipziger Abfalllogistikfirma kehren ein bis zwei Mal die Woche hier ein, wenn sie in der Gegend zu tun haben. Dann landen mit großer Wahrscheinlichkeit Makkaroni oder Schnitzel auf ihren Tellern. „Es schmeckt gut und wir kennen die Leute“, erklärt Gebhardt, warum er immer wieder gern hier Mittag isst. Hinzu kommt: „Die sanitären Einrichtungen sind ordentlich und das ist uns auch wichtig“, sagt der 33-Jährige, während er einen Blick auf die Uhr wirft. In zehn Minuten müssen sie wieder los. Ihre Tour geht weiter.
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Während die Küchenfrauen mit den Kunden auch mal einen kurzen Plausch halten, hat der Chef dafür keine Zeit. Wolfgang Pfaff – kräftige Gestalt, grüne Arbeitshose, in der Hand einen Zollstock – hat den Gasthof aufgebaut. Sein Sohn hat die Geschäfte zwar inzwischen übernommen, der Senior mischt aber immer noch mit, kümmert sich um die Logistik. „Ich bin die graue Eminenz im Hintergrund“, erklärt der 67-Jährige scherzhaft. In Frohburg ist Pfaff, der Ureinwohner, jedem ein Begriff. Seine Familie betreibt nicht nur die Raststätte, sondern direkt neben dem Lokal auch einen Blumenladen, eine Landschaftsbaufirma, verkauft Karpfen und hat Heidelbeersträucher, die Naschkatzen gegen Gebühr selbst ernten können.

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Wer gehört zu Pfaffs Stammkunden? Der Chef im Interview.

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Das Gelände hat Wolfgang Pfaff von seinem Großvater Richard geerbt, der vor Ort eine Tischlerei betrieb. Der Enkel ist gelernter Werkzeugmacher, Tischler und Ingenieur für Automatisierungstechnik. Zu DDR-Zeiten machte er sich selbstständig mit einem Straßenbaubetrieb. Nach der Wende sattelte Pfaffs Frau von Hebamme auf Floristin um, und ihm kam die Idee mit der Raststätte. Zuerst stellten die Pfaffs an die Straße einen Imbisswagen, der am 1. April 1991 eröffnete. Viele Durchreisende nutzten das neue Angebot, in den 90ern gab es auch kaum Alternativen entlang der B 95, sagt Pfaff. „Die Leute sind durch den Straßengraben auf die Wiese gehüpft“, erinnert er sich.

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Nach einem Dreivierteljahr wurde die Kantine in das alte Wohnhaus verlagert – ebenfalls ein Provisorium, denn das Gebäude war auf Dauer zu klein und schon damals gut besucht. Viele Pendler aus Chemnitz, Plauen oder dem Erzgebirge fuhren zum Arbeiten nach Leipzig oder Halle. „Meistens haben die bei uns gefrühstückt. Einige kamen zum Abendbrot gleich nochmal vorbei.“ 1997 eröffnete Familie Pfaff die neue Raststätte, nachdem das alte Haus fast komplett abgerissen wurde. Doch der Ausbau der Autobahn 72 Richtung Borna vor vier Jahren traf sie hart. „Der durchgehende Verkehr ist weggebrochen“, klagt der Chef. Sie schlossen fortan zwei Stunden eher, machten den Gasthof schon 17 Uhr dicht. Einige Stammgäste halten der Familie bis heute die Treue. „Manchmal fahren Leute extra von der Autobahn ab, um zu gucken, ob es uns noch gibt“, sagt Wolfgang Pfaff und lächelt.

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Heute ist es vor allem der Mindestlohn, der ihm zu schaffen macht, weil die Lieferanten ihre Preise angezogen haben. „Auch wir mussten die Preise anpassen“, sagt Wolfgang Pfaff. 25 bis 30 Prozent teurer ist das Essen inzwischen, „Das ist schon ein gewaltiger Sprung. Es gab auch Kunden, die sich darüber aufgeregt haben.“ Currywurst mit Pommes kostet derzeit 5,30 Euro. Die Raststätte schreibe zwar schwarze Zahlen, sagt Pfaff, „wir können unsere Abschreibungen tätigen, Lohn zahlen, aber es bleiben null Euro übrig, um zu investieren.“ Und das würde er gern. Zum Beispiel im hinteren Teil des Gebäudes, wo sich ein Saal anschließt – inklusive grünem Kachelofen – den Vereine oder Familien für Feste buchen können. Pfaff wollte nebenan neue Toiletten einbauen. Kostenpunkt: 25.000 Euro. Er konnte es nicht finanzieren.

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Und so sind es vor allem die Handwerker, Gewerbetreibenden und seit einer Weile auch die Rentner, die den Laden weiter am Laufen halten. Und die lieben besonders ein Getränk des Hauses, das Pfaffs Team morgens serviert: „Richtigen Filterkaffee, wie ihn sich der Bauhandwerker und Kraftfahrer wünscht.“

Raststätte Pfaff, Bahnhofstraße 50 in Frohburg, geöffnet täglich von 7 bis 17 Uhr.

„Gesamtwirtschaftlich ist Pendeln etwas Positives“

Oliver Holtemöller ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und stellvertretender Präsident des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle. Der Ökonom erklärt im Interview die Gründe, warum Ostdeutsche in andere Bundesländer pendeln, welche Folgen das für die lokale Wirtschaft hat und was er von Rückkehrer-Prämien hält.

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Warum pendeln Menschen aus dem Osten in andere Bundesländer zur Arbeit?


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Ein Hauptgrund fürs Pendeln ist also der Lohnunterschied zwischen Ost und West.

Ja, die Arbeitsplatzperspektiven sind in Westdeutschland besser, auch weil die Verdienste im Durchschnitt höher sind. Der Durchschnittslohn liegt im Osten bei  80 Prozent im Vergleich zu Westdeutschland, allerdings mit sehr großen regionalen Unterschieden. Im öffentlichen Dienst gibt es kaum eine Differenz zwischen Ost und West, dafür im verarbeitenden Gewerbe oder auch im Dienstleistungsbereich.

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Welche Folgen haben Auspendler für die Wirtschaft des eigenen Bundeslandes?

Für das Einkommen der Menschen ist das ein positiver Effekt. Die Pendler verdienen mehr als bei einer Anstellung in ihrer Region. Die lokale Wirtschaft profitiert davon, dass die Auspendler einen Teil ihres Einkommens in der Wohnregion ausgeben, zum Beispiel für Miete, Familie und Freizeitaktivitäten.

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In Sachsen sind es vor allem Hochqualifizierte, die auspendeln. Welche Konsequenzen hat es, dass diese „klugen Köpfe“ woanders arbeiten?

Es führt dazu, dass das durchschnittliche Bildungsniveau der heimischen Arbeitskräfte niedriger ist. Das hat wiederum Rückwirkungen auf das durchschnittliche Lohnniveau der Region, weil die Löhne sehr stark vom individuellen Qualifikationsprofil abhängen.

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Führt das Auspendeln vieler Ostdeutscher zu einem Fachkräftemangel in der Region?

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Was können Unternehmen im Osten tun, um Pendler zurückzuholen?

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Die Politik versucht über Rückkehrer-Prämien, Menschen nach Sachsen zurückzuholen. Halten Sie so etwas für wirksam?

Es wäre wünschenswert, wenn wir in den neuen Bundesländern noch mehr hoch qualifizierte Arbeitsplätze hätten. Das kann man aber nicht mit Rückkehrer-Prämien erreichen. Das Instrument ist ungeeignet und ich habe auch noch nicht gehört, dass diese Maßnahmen von großem Erfolg gekrönt gewesen wären. Der Hauptgrund für das Pendeln sind die höheren Verdienstmöglichkeiten und solange die andernorts bestehen, nutzt auch eine einmalige Prämie nichts.

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Zuletzt hat sich die Zahl der Einpendler nach Sachsen erhöht. Das deuteten einige Politiker als Zeichen der guten Wirtschaft. Stimmen Sie zu?

Grundsätzlich würde ich nicht davon ausgehen, dass die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland schnell verschwinden. Wenn da eine Zahl etwas fluktuiert, sollte nab das nicht überbewerten. Man muss sich mehrjährige Trends anschauen. Daraus, dass Pendelströme steigen, folgt zunächst noch gar nichts.

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Wie werden sich die Pendlerströme in Zukunft entwickeln?

Der Zeitdruck ist hoch“

Ronny Schmidt ist Berufskraftfahrer und steuert seinen Lkw von Leipzig bis in die Niederlande.

Entfernung: 700 Kilometer

Fahrzeit für eine Strecke: etwa 13 Stunden

Gemütlich zuckelt der quietschgrüne Lkw durch die engen Straßen Leipzigs, am riesigen Lenkrad des Kolosses sitzt Ronny Schmidt, 40 Jahre alt, ein kleiner Mann in Jeans und Pullover, mit silbernen Ringen im Ohr. „Schmidti“ – so steht es auf dem Schild hinter der Frontscheibe – fährt grundsätzlich nur in Socken. Er will sich schließlich wohlfühlen. „Ich lebe die ganze Woche hier drin.“ Es ist unerwartet kuschelig in der breiten Fahrerkabine: Die schwarzen Ledersitze sind weich, eine Duftkerze verbreitet frischen Geruch, das Radio dudelt im Hintergrund. Auf dem Armaturenbrett stehen Fotos von Schmidts Kindern – eine 13-jährige Tochter und ein zehnjähriger Sohn – daneben ein Tablet, das er als Navi nutzt, und ein Laptop – zum Fernsehschauen nach Feierabend.

Feierabend – den hat Ronny Schmidt dann, wenn andere gerade aufstehen, um zur Arbeit zu fahren. Sein Arbeitstags bei der Firma IW-Transporte aus Leipzig-Engelsdorf beginnt an diesem Donnerstag 17 Uhr und endet am nächsten Morgen um sechs in den Niederlanden. Auf seiner Tour legt er etwa 700 Kilometer zurück: Von Leipzig fährt er nach Thüringen, lädt Ware ein, fährt dann nach Hessen, dort wird neu beladen, dann geht es weiter in den Ruhrpott und schließlich nach Holland.

4,5 Stunden darf er am Stück fahren, dann muss er eine 45-minütige Pause einlegen. Nach seiner Ankunft muss er elf Stunden lang pausieren, das ist gesetzlich so vorgeschrieben. Schmidt nutzt die Zeit unter anderem, um zu schlafen, in der Fahrerkabine Lkw gibt es zwei Klappbetten. „Ich schlafe hier mittlerweile besser als zu Hause“, sagt er. Am Abend geht es wieder retour: Von Holland über Hannover und Magdeburg nach Halle. So geht das die ganze Woche – von montags bis freitags. Der Lkw schaukelt gemütlich durch den Berufsverkehr, über eine schmale Auffahrt geht es auf die A 38, Ronny Schmidt reiht sich mit 80 Km/h ein in die Lkw-Kolonne. Von der Fahrerkabine aus wirken die Autos unten sehr klein.

Beladen wiegt der grüne Lkw inklusive Anhänger 40 Tonnen, transportiert werden Waren des täglichen Gebrauchs: Weinflaschen, Hundefutter, Matratzen, Kühlschränke, Fahrräder. Ronny Schmidt ist einer von 90 Fahrern, die das Logistikunternehmen beschäftigt. Die meisten fahren tagsüber, nur ein Teil in der Nacht. Ronny Schmidt gehört zu den Nachtschwärmern. „Ich bin mal eine zeitlang tagsüber gefahren, da hab ich graue Haare gekriegt.“ Nachts sei es ruhiger auf der Straße, selten steht er im Stau. Nur einmal, da saß er bei Würzburg im Winter mal sieben Stunden lang fest. Zum Glück hat sein Gefährt eine Standheizung.

Warum Ronny Schmidt so gern Lkw fährt, erklärt er im Video.

Der Lkw, sagt Ronny Schmidt, fahre fast selbstständig: Automatikschaltung, Tempomat und Abstandshalter erleichtern das Steuern, nur lenken muss er noch selbst. Die Technik hilft auch beim Wachbleiben: Würde sein Kopf im Sekundenschlaf auf das Lenkrad sacken, registriert das ein Sensor und gibt einen Signalton ab. Passiert sei ihm das noch nicht.

Im ersten Jahr fiel ihm der vertauschte Tag-Nacht-Rhythmus noch schwer, inzwischen „klappt das wunderbar“. Was Ronny Schmidt wirklich nervt, sind die Autofahrer. „Es gibt ganz schöne Idioten“, meckert er. „Einige denken, sie sind die einzigen, die es eilig haben“, beklagt er und hängt dann ein sächsisches „nor“ hinten an. Besonders das von vielen Autofahrern beklagte Elefantenrennen, bei dem ein Lkw einen anderen überholt, verteidigt er. „Es kann passieren, dass ich durchs Überholen eine Stunde Lenkzeit spare.“

Andere legen sich in die Badewanne, ich fahre Auto.

Eine andere Perspektive auf den Verkehr. Immerhin muss der Lkw-Fahrer seine Ware pünktlich ausliefern. „Der Zeitdruck ist sehr hoch. Die Zeiten werden immer enger gesetzt“, sagt Ronny Schmidt. Beeindrucken lasse er sich von dem Stress nicht. Wenn das Be- oder Entladen länger dauert, könne er ohnehin nichts machen. Zum Rasen lässt sich Schmidti nicht verleiten, beteuert er. Gerade mal drei, vier Mal sei er geblitzt worden in seinem Lkw-Leben.  Seit sieben Jahren fährt der gebürtige Leipziger die großen Kolosse durch die Gegend, legt pro Jahr etwa 140.000 Kilometer auf der Straße zurück.

Ursprünglich war Schmidt Gerüstbauer, zehn Jahre lang arbeitete er auf dem Bau in der Schweiz und in den Niederlanden. Durch die schwere körperliche Arbeit sind sein Rücken und seine Gelenke geschädigt, sagt er. Das war ein Grund dafür, warum er umsattelte und sich als Berufskraftfahrer ausbilden ließ. „Das ist nichts anderes als Auto fahren, nur ein bisschen größer und breiter.“ Das Rangieren mit einem 18 Meter langen Hängerzug sei allerdings nicht ohne, gibt Schmidt zu. „Da hat man nicht viel Spielraum und muss lange üben, viele verzweifeln dran.“ Ein ganzes Jahr brauchte er, bis er das Rückwärtsfahren drauf hatte. Inzwischen beherrscht er diese Königsklasse, lädt Container mühelos auf und ab.

Schmidt wechselt jetzt auf die A9 Richtung Hermsdorfer Kreuz. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden, die Scheinwerfer der überholenden Autos blitzen schemenhaft vorbei, während Schmidt seinen Lkw-Riesen ruhig über die Autobahn steuert.

Man kann sagen, dass der Kraftfahrer seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Schmidt fährt gern Auto, früher amerikanische Modelle, heute einen schnellen BMW. Das Gleiten über die Straße empfindet er als entspannend, sagt er. „Andere legen sich in die Badewanne, ich fahre Auto.“ Wenn Ronny Schmidt Freitagnacht von seiner Tour zurückkommt, setzt er sich in sein eigenes Auto und fährt nach Rostock, wo seine Familie lebt. Drei Stunden auf der Autobahn, er drückt dann häufig aufs Gas.

Seine Frau, die im Einzelhandel arbeitet, und seine beiden Kinder sieht der Lkw-Fahrer nur am Wochenende. Manchmal nimmt er die Kids mit zum Lkw-Waschen oder auf seine Tour, wenn sie Ferien haben. „Das finden sie natürlich ganz toll.“ Generell liebe er seine Freiheit, sagt Schmidt, aber natürlich fehle ihm seine Familie unter der Woche. „Das Privatleben leidet sehr darunter.“ Für Familie und Freunde bleibt bei einem Leben auf der Autobahn wenig Zeit. Genauso wie für seine Hobbys – Snowboardfahren im Fichtelgebirge, Hochseeangeln in Norwegen.

Dafür aber ist der Fahrerjob durchaus lukrativ. Mit Prämien und Spesen kommt Schmidt auf ein ordentliches Monatsgehalt, versichert er. Das ist auch der Grund, warum er sich bisher nicht in Mecklenburg-Vorpommern nach einer Arbeit umgesehen hat. Dort seien die Gehälter schlechter.

Doch Schmidt spart auch, wo es möglich ist. Er meidet teure Raststätten, kauft zu Hause im Supermarkt ein und verstaut seine Packungen mit Käse und Salami in dem kleinen Kühlschrank in der Fahrerkabine. Er duscht bei seinen Logistik-Kunden statt auf Rasthöfen, wo dafür 2,50 Euro fällig wären. Schmidt sagt, er würde gern noch häufiger ins Ausland fahren, am besten jeden Tag ein neues Ziel ansteuern, fremde Gegenden kennenlernen. „Sonst hätte ich ja Busfahrer werden können, der fährt immer dieselbe Runde.“

Zwischenstopp auf einer Raststätte kurz vorm Hermsdorfer Kreuz. Ronny Schmidt kauft sich einen Kaffee, klettert dann flink wieder in seinen Lkw, hupt und steuert den Koloss weiter, immer Richtung Westen.

„Wir werden über neue Straßenbahntrassen reden“

Torben Heinemann, 45, ist Verkehrsplaner der Stadt Leipzig. Der Mobilitäts-Experte spricht im Interview über das Autoaufkommen in der Stadt, die Rolle des ÖPNV für Pendler und die Zukunft des Verkehrs in der Messestadt.

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Immer mehr Menschen pendeln nach Leipzig hinein oder aus der Stadt ins Umland zur Arbeit. Wirkt sich dieser Anstieg auf den Verkehr in der Stadt aus?

Das ist unterschiedlich. Wir haben festgestellt, dass wir bis 2013 Steigerungen im Kfz-Verkehr hatten. Als 2014 der City-Tunnel und damit das neue S-Bahn-System in Mitteldeutschland in Betrieb gegangen sind, gab es dadurch einen Rückgang im Autoverkehr. Beim Kfz-Verkehr in das Stadtzentrum hinein merken wir keine wesentliche Zunahme, weil die Menschen, die im Stadtgebiet arbeiten, auf die S-Bahn umsteigen können. Bei den Arbeitsplätzen, die am Stadtrand sind, im Leipziger Nordraum oder in Richtung Schkeuditz zum Beispiel, da gibt es eine Zunahme im Kfz-Verkehr. Diese ist für das zentrale Stadtgebiet aber nicht relevant.

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Wohin pendeln die Leipziger und woher kommen die meisten Einpendler?

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Von Leipzig raus ist Schkeuditz und der Flughafen eines der Hauptziele der Pendler. Nach Leipzig rein sind es die nächstgelegenen Städte – Markkleeberg, Taucha, Markranstädt. Delitzsch ist auch sehr gut mit Leipzig verflochten, wobei hier viele den ÖPNV nutzen und mit der S-Bahn kommen.

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Wenn viele Menschen die S-Bahn nutzen, gibt es auch Straßen, auf denen heute weniger Autos fahren?

Interessanterweise hatten wir einen Rückgang von der B 2 von Süden Richtung Stadtzentrum, obwohl auf der A 72 weitere Bauabschnitte fertig gestellt wurden. Das heißt, es wurde trotz der Verbesserung für den Autoverkehr insgesamt mehr auf den ÖPNV umgestiegen. Einen Rückgang gab es auch an der B 6 aus dem Osten und auf der B 87 aus Taucha kommend. Das führen wir unter anderem auf das Angebot im verbesserten S-Bahn-Verkehr zurück.

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Welche Auswirkungen hat der anhaltende Zuzug nach Leipzig auf den Verkehr? Heißt mehr Leute auch mehr Autos?

Mehr Leute bedeuten erst einmal mehr Wege. Im Durchschnitt legen die Leipziger 3,6 Wege pro mittleren Werktag zurück – sie fahren auf Arbeit und zurück, gehen einkaufen, zur Ausbildung oder in der Freizeit. Wir haben im Augenblick die Tendenz, dass in Leipzig vor allem jüngere Altersklassen zwischen 18 und 35 herziehen, die seltener über ein Auto verfügen als Menschen der mittleren Altersgruppen der 36 bis 60-Jährigen. Außerdem wohnen viele Neuzugezogene im Stadtzentrum, dort, wo wir eine sehr gute ÖPNV-Infrastruktur haben und man kein eigenes Auto braucht und sehr gut autounabhängig leben kann.

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Vielleicht würden noch mehr Menschen vom Auto auf Bahn und Bus umsteigen, wenn es nicht so teuer wäre.

Das trifft vielleicht auf den Einzelfahrschein zu (derzeit 2,60 Euro, Anm.d.Red.). Wenn ich mir aber das Beispiel Schülerabo in Leipzig anschaue, ist das im Städtevergleich sehr günstig (monatlich etwa 25 Euro, Anm.d.Red.). Ein Auto kostet auch deutlich mehr, als das, was ich an der Zapfsäule bezahle: Reparaturen, Winterreifen, Versicherungen kommen dazu. Ein Jahresticket für Bus und Bahn (monatlich etwa 52 Euro, Anm.d.Red.) kostet im Monat gerade mal so viel wie eine halbe Tankfüllung.

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Was sagen Sie zu der Idee eines Bürgertickets, das jeder Leipziger zwangsweise bezahlen müsste? Dann würden sicher mehr Leute Bahn fahren.

Wer steigt wirklich um? Der ÖPNV ist im Berufsverkehr jetzt schon voll, es gibt kaum Reserven in Bahnen und Bussen. Mit einem Bürgerticket müsste auch das Angebot verbessert werden, mehr Fahrzeuge ins Netz gebracht werden, der Takt müsste verdichtet werden. Das sind zusätzliche Kosten, bei denen fraglich ist, ob sie durch den Preis des Tickets abgedeckt wären. Ich denke, die Idee wird eher in einer Sackgasse enden. Viel wichtiger wäre es diese Fragestellung zu nutzen, um eine Diskussion zum Thema ÖPNV-Nutzer und ÖPNV-Nutznießer zu führen und den ÖPNV als Teil der Daseinsvorsorge auf eine Grundfinanzierung durch alle zu stellen. Wenn das geschafft ist, könnte die eigentliche Beförderungsleistung deutlich günstiger als heute angeboten werden.

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Wie wird sich der Verkehr in Zukunft in Leipzig entwickeln?

Das Ziel des städtischen Verkehrskonzepts ist, dass wir bis 2025 rund ein Viertel der heutigen Autofahrten durch den ÖPNV, durch zu Fuß gehen oder durch das Fahrrad ersetzen. In den letzten 20 Jahren haben sich zum Beispiel die Wege, die Leipziger mit dem Rad zurücklegen, vervierfacht. Auch die S-Bahn hat noch große Potenziale. Bei der Straßenbahn werden mit den neuen XL-Bahnen die Kapazitäten der Fahrzeuge erhöht. In fünf Jahren werden wir sicher auch wieder über neue Straßenbahntrassen in Leipzig reden.

Video-Interviews und Texte: Gina Apitz, André Pitz
Fotos und Videodreh: Dirk Knofe
Schnitt: Leipzig Fernsehen, Trailer: Patrick Moye
Grafik: Patrick Moye 
Konzept, Produktion: Gina Apitz
Quellen: Statistisches Landesamt Sachsen, IHK Pendlerreport 2016,
Statistischer Quartalsbericht der Stadt Leipzig 2016, Agentur für Arbeit