Seit 50 Jahren wohnt Martha Höpfner am Rande von Kursdorf. Falten durchziehen das Gesicht der 87-jährigen Dame, die geistig noch voll auf der Höhe ist. Von ihrem efeubewachsenen Haus aus kann sie direkt auf den Flughafen blicken. Ihr Garten verwildert, sie schafft es nicht mehr, sich um die knapp 1000 Quadratmeter zu kümmern. Zugelaufene Katzen streunen darin herum. Martha Höpfner füttert die Tiere, sie tun ihr leid.
Im Wohnzimmer der Rentnerin riecht es nach Polstermöbeln. Ihr verstorbener Mann lächelt von einem Foto auf der Schrankwand. Wie ist das – ein halbes Jahrhundert Auge in Auge mit dem Flughafen? „Wenn der Wind aus Nordost kommt, da faucht es ganz schön“, sagt Höpfner. Aber: An den Krach, den Kerosin-Geruch – daran sei sie gewöhnt.
Ein tragisches Ereignis jedoch hat sie bis heute geprägt. Es ist die Erinnerung an die Tupolev-Maschine, die 1975 auf der Landebahn des Flughafens abstürzt. Martha Höpfner ist eigentlich in der Landwirtschaft tätig, arbeitet aber ab und zu auf dem Flughafen. Auch an diesem Tag.
Als sie die Nachricht vom Absturz erreicht, dürfen die Arbeiter die Lagerhallen nicht verlassen. Erst später erfahren sie: Es gab 27 Tote. Darunter eine junge Stewardess. „Sie hat uns am Tag zuvor einen Sekt ausgegeben – anlässlich ihrer Hochzeit“, erzählt Höpfner.
Auch wenn die Seniorin es nicht zugibt: Ihre Stimme verrät, dass es sie betrübt, dass ihr Dorf in den vergangen Jahren immer leerer wurde.„Der Bäcker kommt nicht mehr“,schimpft sie. Das Geschäft lohne sich nicht. Der einzige, der noch regelmäßig vorbeischaut, ist ein Fleischer auf Rädern. Zum Einkaufen fährt Martha Höpfner mit dem Bus nach Schkeuditz. Und selbst die Busgesellschaft machte eines Tages einfach einen Bogen um das fast tote Dorf – die verbliebenen Einwohner protestierten.
Mit Erfolg. Jetzt wird Kursdorf wieder angefahren, einmal pro Stunde. Doch der Exodus hält an. Die beiden letzten Familien packen gerade ihre Koffer. In wenigen Wochen wird Martha Höpfner die letzte Einwohnerin von Kursdorf sein. Auch sie hält hier inzwischen nichts mehr: „Wenn sich etwas Passendes findet, bin ich weg.“